Samstag, 19. Mai 2012

Maskenball




Ich höre, wie du schwer atmest. Dann schlägst du deine Decke zurück und deine Hände drücken die Matratze ein. Ich bemühe mich ganz ruhig weiter zu atmen, damit du nicht bemerkst, dass ich aufgewacht bin. Ich spüre, wie du aufstehst und ich höre deine tapsigen Schritte.
Du kippst das Fenster an und erst jetzt merke ich, wie warm es hier drin geworden ist. Leise öffnest du den Schrank und ich höre den Metallverschluss des Gürtels deiner Hose klappern. Ich drehe mich um und streiche mit einer Hand die Haare aus meinem Gesicht.
»Schlaf weiter.« flüsterst du kaum hörbar. Ich drehe mich erneut um und schlage die Augen auf. Im Zimmer ist es dunkel. Die einzige Lichtquelle ist die Straßenlampe vor dem Haus, die ihren bläulichen Schein in den Raum wirft.
Ich sehe, wie du dich mühsam anziehst und als dein Kopf sich zum Bett dreht, schaue ich schnell zum Fenster.
»Schlaf weiter.« sagst du erneut. Dann trittst du langsam an das Bett und gibst mir einen Kuss auf die Stirn. Es ist ein vertrautes Gefühl, das mich lächeln lässt.
»Wie spät ist es?« frage ich dich.
»Ich weiß nicht. Schlaf weiter.«
»Wo gehst du hin?« Ich schaue dich immer noch nicht an. Es war schon einige Male so, dass ich morgens aufgewacht bin und dein Platz leer war. Früher war das nie so, als ich dich kennen gelernt habe. Aber in letzter Zeit kommt es immer öfter vor.
»Nur ein wenig spazieren. Ich kann nicht schlafen.« sagst du. Früher warst du nie so. Manche Abende hast du das Fußballspiel nicht bis zum Ende gesehen, weil du so müde gewesen bist. Und nun  gehst du nachts spazieren.
Dein Finger streicht über meine Wange. Du zitterst. Seit ein paar Monaten ist es wieder schlimmer geworden. Wir sprechen meistens nicht darüber. Manchmal denke ich, dass es, wenn wir nichts sagen, … dass es dann verschwunden ist. Du gehst nicht mehr zum Volleyballspielen und hast das Zeichnen aufgegeben. Um dich herum ist es still geworden. Seit einiger Zeit unterrichtest du nicht mehr. Für eine Weile bist du krankgeschrieben, aber wenn die Zeit vergangen ist, wird uns das Geld irgendwann an allen Enden fehlen. Das Bisschen, was ich mit den Aushilfsjobs verdiene, reicht gerade so für die Miete. Ich habe Angst, vor dem was kommt. Und es ist unausweichlich.
»Das wird schon.« flüstere ich, greife nach deiner Hand und du setzt dich auf die Bettkante.
»Was, wenn die Symptome schlimmer werden?« fragst du. In deiner Stimme liegt Angst. Ich habe oft versucht, stärker als du zu sein, um dir Halt zu geben. Aber seit der letzten Diagnose fällt es mir immer schwerer.
»Der Arzt hat gesagt, dass wir das gemeinsam hinbekommen können.« sage ich.
»Der Arzt hat auch gesagt, dass es nicht schlimmer wird.« sagst du abfällig. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut ist, dir eine Antwort zu geben, obwohl du keine verlangst. Aber ich weiß auch, dass das Totschweigen nichts bringt. Eher verschlimmert es die ganze Angelegenheit.
Nach einer Weile stehst du auf und tappst zur Tür. Dein linker Arm schwingt bei deinen Schritten schon lange nicht mehr mit. Deine Hand zittert immer noch. Du legst sie auf die Türklinke und sagst »Schlaf jetzt. Ich wollte dich nicht wecken.«
»Ich kann mitkommen. Ich kann eh nicht gut schlafen, wenn dein Bett leer ist.«
»Nein, es ist noch so früh. Du solltest noch eine Weile schlafen.«
»Es macht mir nichts. Ich komme gerne mit.«
»Du musst morgen arbeiten.«
»Aber es ist gefährlich, wenn du um die Zeit allein draußen bist.«
»Schlaf jetzt.« Dann drückst du die Hand herunter und öffnest die Tür.
»Sei vorsichtig.« flüstere ich.
»Das bin ich, Schatz. Schlaf gut.« sagst du, während deine kurzen schlurfenden Schritte immer leiser werden, bis sie vom leisen Klacken des Haustürschlosses verschlungen werden und vom Treppenhaus aus nicht mehr in die Wohnung dringen.
Irgendwann wird es vorbei sein, das wissen wir beide. Ich weiß, dass du Angst davor hast und es dir unangenehm ist, wenn dein Bein nicht so spielt, wie du es willst. Aber gemeinsam mit den Medikamenten schaffen wir das. Daran glaube ich, auch wenn es keine Heilung gibt.

4 Kommentare:

  1. Aw, es ist so cool, dass du Dabriel mitlesen magst, es ist wunderbar, jemanden so Talentiertes dabei zu haben, danke. ♥♥

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  2. Wooow *___* du hast echt Talent ;D

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