Sonntag, 17. Juni 2012

Schlaf, mein Kindchen, schlaf jetzt ein




Es war Nacht. Der runde Mond schien durch ihr großes Fenster und sie starrte an die Decke. Sie war todmüde gewesen, aber der Schlaf blieb ihr verwehrt. Sie drehte sich auf die Seite und schaute aus dem Fenster. Der Wind sang sein Liedchen und die Bäume raschelten leicht mit ihren Blättern. Sie fasste sich an die Stirn und jetzt hatte sie tatsächlich Fieber, ihre Stirn glühte.
Sie schloss ihre Augen und summte die Melodie von Schlaf, Kindlein schlaf. Ihre Mutter hatte es ihr früher, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, vorgesungen, wenn sie nicht schlafen konnte. Aber es wollte nicht recht klappen, wenn sie es sich selbst sang. Sie flüsterte den Text vor sich her. Schlaf, Kindlein schlaf. Der Vater hüt´ die Schaf. Die Mutter schüttelt´s Bäumelein, fällt herab ein Träumelein. Schlaf, Kindlein schlaf.
Sie vermisste die Stimme ihrer Mutter. Sie hatte immer an ihrem Bett gesessen, wenn sie krank gewesen war. Aber diesmal war sie nicht daheim. Mit dem Vater auf Reise, irgendwelche Geschäfte erledigen. Sie wünschte sich ihre Mutter nach Hause und beschuldigte sie innerlich, dass sie nicht hier war. Dabei hatte sie ja nicht ahnen können, dass sie doch noch erkranken würde.
Sie setze sich auf und nahm einen Schluck aus dem Wasserglas. Eine Schweißperle tropfte ihr von der Stirn und eine weitere rollte ihre Wange hinab. Ein Zug fuhr lautstark vorbei und für einige Sekunden war es das einzige, was sie wahrnahm.
Nachdem sie sich wieder hingelegt hatte und Stille eingekehrt war, bemerkte sie leise den Regen gegen ihre Fensterscheibe prasseln. Sie stöhnte auf und zuckte im gleichen Atemzug zusammen, denn sie hatte ein Knarren auf der Treppe gehört. Die Treppe war schon alt und genau so sah sie auch aus und hörte sich an. Und manchmal knackte und knarrte sie ganz unwillkürlich.
Sie zog die Decke etwas höher, sodass nur noch Nase, Augen und Haare zu sehen waren. Wenn ihre Mutter daheim gewesen wäre, hätte sie sich wohl bei weitem nicht so gefürchtet. Da hätte sie das Knarren wahrscheinlich auch gar nicht wahrgenommen.
Ihr Nachthemd, ihre Haare und das Bett waren komplett durchgeschwitzt. Sie schwitzte am ganzen Körper und doch zitterte sie aus Angst. Schlaf, Kindlein schlaf. Der Vater hüt´ die Schaf. Die Mutter schüttelt´s Bäumelein, fällt herab ein Träumelein. Schlaf, Kindlein schlaf. Schlaf, Kindlein schlaf. Der Vater hüt´ die Schaf. Die Mutter schüttelt´s Bäumelein, fällt herab ein Träumelein. Schlaf, Kindlein schlaf. Leise sang sie das Lied immer und immer wieder, aber es schien alles nichts zu helfen. Sie hörte es wieder knarren. Der Wind sang immer noch sein Lied und die Bäume stürmten dazu. Der Regen wurde gegen das Fenster gepeitscht und wieder glaubte sie, das Knarren der Treppe gehört zu haben. Wieder fasste sie sich gegen die Stirn und sie glühte. Und wieder dieses Knarren und wieder sang sie ganz leise dieses Lied.
Als sie glaubte, jenes Knacken der Treppe nicht mehr zu hören, wurde sie von einem neuen, viel angsteinflößenderen Geräusch aufgewühlt, sodass ihr Herzschlag für einen Augenblick aussetzte, um dann doppelt, dreifach und vierfach so schnell zu schlagen.
Eine leise Stimme, die ganz langsam immer lauter wurde, sang Schlaf mein Kindchen, schlafe ein. Die Nacht sie schaut zum Fenster rein. Der runde Mond, der hat dich gerne und es leuchten dir die Sterne. Schlaf mein Kleines, träume süß. Bald bist du im Paradies.
Erneut nahm sie ihren Handrücken, der Eiskalt war, und hielt ihn sich gegen den Kopf. Sie zitterte, als würde sie jeden Moment erfrieren, dabei war ihr ganz und gar nicht kalt. Und wieder hörte sie diese Melodie mit diesem Text, den sie nicht kannte und das Lied, das jemand sang, der in ihrem Haus nichts zu suchen hatte.
Denn gleich öffnet sich die Tür und ein Monster kommt zu dir.
Sieh zwang sich, die Augen zu schließen und presste die Lider so fest es ging zusammen, aber als sie das Quietschen ihrer Zimmertür hörte, öffnete sie schlagartig ihre Augen.
Mit seinen elf Augen schaut es dich an und schleicht sich an dein Bettchen ran.
Sie lag wie erstarrt da und versuchte möglichst flach zu atmen und keine Geräusche von sich zu geben.
Du liegst still da, bewegst dich nicht. Das Monster zerkratzt dir dein Gesicht. Seine Finger sind lang und dünn. Wehr dich nicht, ´s hat keinen Sinn. Und es kichert, wie verrückt. Als es deinen Hals zudrückt.
Die Melodie kam ihr immer weiter weg vor, war mit einem Mal so abgedämpft und monoton. Und dann strampelte und zappelte sie. Sie versuchte um sich zu treten und schrie. Aber sie wusste genau, dass sie niemand hören würde. Stattdessen war der Gesang plötzlich wieder so klar und laut und so nah bei ihr. Und sie fühlte, wie sie jemand berührte. Am Hals, am Kopf und im Nacken. Wie ihr dieser Jemand durch die Haare fuhr.
Du schreist, doch du bist allein zu Haus. Das Monster sticht dir die Augen aus.
Sie fieberte und schrie sich die Seele aus dem Leib. Aber das Monster drückte immer fester seine Finger um ihren Hals. Seine Finger waren kalt. Kalt wie ihre vorhin gewesen waren.
Dann bist du still und das ist gut. Es beißt dir in den Hals und trinkt dein Blut. Ohne Blut bist du bleich wie Kreide, dann frisst es deine Eingeweide. Dein kleines Bettchen vom Blut ganz rot. Die Sonne geht auf und du bist tot.
Sie lag reglos da und wie ihr vorhin noch der Schweiß von der Stirn getropft war, tropfte nun das Blut ihren Hals hinunter. Und das Bett und das Nachthemd färbten sich und ihr Blick wurde ganz starr.
Schlaf mein Kindchen, schlaf jetzt ein. Am Himmel steh´n die Sternelein. Schlaf mein Kleines, schlafe schnell. Dein Bettchen ist ein Karussell. Schlaf mein Kindchen, schlaf jetzt ein.
Und der Wind ließ nach und es hatte aufgehört zu regnen. Und als die Sonne langsam über den Horizont kletterte, fiel der letzte Tropfen auf den nun blutroten Teppich.

2 Kommentare:

  1. An sich eine gute Idee und auch größtenteils gut umgesetzt (-:. Nur hier hatte ich irgendwie meine Probleme mit:
    'Sie fasste sich an die Stirn und tatsächlich, sie hatte Fieber.' Die Formulierung finde ich an sich nicht so schön, weil sie den Lesefluß so heftig stört :x.

    'sie saß immer an ihrem Bett, wenn sie krank gewesen war.' Das erste muss, glaub ich, auch in Plusquamperfekt und deswegen war das irgendwie verwirrend. :x

    Oh mann, das Ende, macht mir schreckliche Angst. Ich weiß nicht :x. Aber ich liebe es (-:

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  2. Fesselnd, wahnsinn, gruselig - genau mein Geschmack (: Weiter so!

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