Sonntag, 7. Oktober 2012

Nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen.




Ich habe mich mit allem abgefunden. Damit, dass ich dich irgendwann hergeben muss. Damit, dass du mich nie wieder sehen wirst. Damit, dass ich dir scheißegal bin. Damit, dass ich jetzt endgültig allein bin. Ich sage nicht, dass ich damit leben kann oder damit klarkomme. Und ich sage auch nicht, dass es in Ordnung ist. Ich sage nur, dass ich es verstanden habe. Nicht nur in dem Sinn, es gehört zu haben. Nein, ich habe es begriffen, durchdacht, verinnerlicht.
Anfangs hat die Wunde geblutet. Und keiner hat sie gesehen. Niemand hat jemals diese Wände gesehen. Diese Welt in die ich falle, ganz unkontrolliert. Manchmal spricht Herbert zu mir. Herbert ist auch aus dieser Welt, die nur ich kenne. Ich weiß nicht, wie Herbert wirklich heißt. Ich habe ihm einfach diesen Namen gegeben. Ich kenne sonst niemanden, der Herbert heißt. Somit ist er unnahbar für mich.
Herbert lebt in der Welt, die ich Som genannt habe. Gelegentlich spricht er mit mir, wenn ich in Som bin. Und manchmal ist seine Stimme so laut, dass ich ihn auch in der anderen, der wirklichen Welt höre. Dann erinnert er mich an die Gesetze und Regeln die für mich gelten, auch wenn ich nicht in Som bin. Er erinnert mich daran, dass ich mich nach dem Essen schlecht fühlen muss und keine Gefühle zeigen darf. Zumindest nicht persönlich zeigen. Genauso wenig wie ich die Wunde zeigen durfte. Und zum Glück hat sie niemand gesehen.
Irgendwann hat sie nicht mehr so stark geblutet, bis sie schließlich ganz versiegte. Übrig geblieben ist eine Narbe. Ich nehme sie mit, auch in die andere Welt, die ihr die Realität nennt. Für euch ist sie das einzige was existiert. Wenn man es zu etwas bringen will, darf man in eurer Welt nur diese eine Welt haben.
Ich habe niemandem von Som erzählt. Das ist eine weitere Regel. Wenn dich jemand fragt, wie es dir geht, musst du immer die gute Maske aufsetzen. Du musst sie belügen, damit die Gesetze eingehalten werden. Aber bevor ich es vergesse, wird Herberts Stimme wieder lauter.
Gelegentlich kann ich von Som aus in die andere Welt schauen. Dann ist alles grau und verschwommen. Einmal habe ich einige Tage beobachtet, wie die Blätter von den Bäumen gefallen sind. Aber oft bleiben nur vage Umrisse, wie wenn man durch Milchglas schauen will. Manchmal ist die Milch dicker, mal so dünn wie Wasser.
Und dann sehe ich von außen zu, wie mein Körper irgendwo steht oder sitzt oder liegt, bis er verkrampft. Ich kann es nicht beeinflussen, wann ich in das Loch falle. Nach Som falle. Es passiert einfach so. Meistens dann, wenn ich allein bin. Oder zumindest unbeobachtet. Dann wenn ich über die Narben nachdenke. Die Narben, die für jeden unsichtbar sind, außer für Herbert und mich. Dann denke ich an früher, an damals. Die Zeit die ich als vor Ewigkeiten bezeichne.
Es ist nicht einfach. Und jedes Mal wenn ich in Som bin, reißt die Narbe wieder ein bisschen auf und blutet. Aber das ist okay, denn es gibt mir das Gefühl von Wirklichkeit.
Herbert sagt mir, dass ich zu viel Zeit in dieser anderen Welt, der Realität verbringe. Wahrscheinlich hat er Recht. In der Realität gibt es viele Probleme, in Som ist alles ganz einfach und leicht. Aber ich kann nicht ewig bleiben. Schließlich lebe ich auch in der anderen Welt.
Die Wände zwischen der Realität und Som sind aus Glas, aber man kann nur aus Som hinaussehen, nicht hinein. Manchmal finde ich die Tür in die andere Welt schneller, manchmal brauche ich länger. Aber ich bin immer auf der Suche nach ihr. Immer unter den Blicken von Herbert.
Ich muss nach draußen, in die andere Welt, weil ich die Hoffnung habe, dass das Loch nach Som irgendwann kleiner wird und weg ist. Dass ich irgendwann nicht mehr falle. Weil ich die Hoffnung habe, dass ich nicht mehr nach Som zurückkommen muss. Und vielleicht habe ich mich doch noch nicht damit abgefunden, dass es dich nicht mehr geben wird, denn in mir drin vermisse ich dich. In mir drin kann ich dich nicht gehen lassen, deshalb suche ich immer wieder nach dieser Tür. Und es erinnert mich daran, dass die Blätter im Herbst nicht fallen, weil sie wollen, sondern weil sie müssen.

4 Kommentare:

  1. wow, sehr intensiv, und sehr gut geschrieben
    mademoiselleromantiqueblog.blogspot.com
    Ich würde mich riesig freuen deine meinung zu mienen texten zu hören, du bist wie ein Vorbild für mich..

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  2. Mir fehlt irgendwie der Inhalt.
    Dein Text kommt mir so vor, als würdest du auf Teufel komm raus,
    einen auf tiefgründig versuchen.
    Nicht böse gemeint, doch irgendwie fehlt mir da was.

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